Frankfurter Rundschau 1.9.1981

Nur wenige sind bereit, Flagge zu zeigen

Die Auseinandersetzungen über den "schnellen Brüter" belasten auch menschliche Beziehungen

Kalkar. Norbert van de Sand und Jo­sef Maas sind Nachbarn. Der eine Grundschullehrer, der andere Land­wirt; beide Familienväter, streng ka­tholisch und auf einen bürgerlich gepflegten Lebensstil bedacht. Das Wohnzimmer bei van de Sands ist ge­räumig, mit moderner Couchgarnitur, Schrankwand und eingelassenen Mu­sikboxen; das bei Familie Maas eher bieder-altdeutsch, mit Sammeltassen und Brokatdeckchen, schmiedeeisernem Kaminbesteck und dem Knick im Sofakissen.
                                          Riß im Dorf
Der Riß, den dieser gigantische Strommeiler von der ersten Minute seines Entstehens an mitten durch den Kalkarer Ortsteil Hoennepel zog, ist für einen Außenstehenden kaum merklich. Den dort lebenden 600 Men­schen drängt er sich jedoch mit der gleichen Nachdrücklichkeit auf, mit der ein Leck im Reaktor eines Atom­kraftwerks zur Aufmerksamkeit zwingt. „Früher", so erinnert sich Bau­er Maas, „war Hoennepel ein Ort soli­der Geselligkeit. Man kannte sich, man sprach miteinander, man feierte vor allem Feste. Heute ist der Zusam­menhalt im Dorf nicht mehr da. Es sind einfach gewisse Spannungen vor­handen."

Die Spannungen sind da, seit sich Anfang der 70er Jahre der Gemeinde­vorstand von Hoennepels katholischer Kirche St. Regenfledis weigerte, für den Bau eines schnellen natriumge­kühlten Reaktors vom Typ SNR 300 die kircheneigenen Wiesen und Wei­den zu verkaufen. Bauer Maas, damals Kirchenvorstandsmitglied und „aus Gewissensgründen" entschiedener Gegner eines Verkaufs, erinnert sich sehr wohl an das frustrierende jahre­lange Tauziehen um die beiden Wei­den zwischen Hoennepel und dem Münsteraner Bistumsbischof Tenhumberg.

Seit dieser Konflikt dadurch ausge­löst wurde, daß Bischof Tenhumberg die aufmüpfigen Katholiken vom Niederrhein kurzerhand ihrer Ämter ent­hob, meidet Maas mit seiner Familie St. Regenfledis. Sonntag für Sonntag fährt man zum Gottesdienst ins vier Kilometer entfernte Rees, „denn unser Pastor damals hat zwar immer gesagt, er sei neutral, in Wirklichkeit war er es nicht". Andere Ortsansässige halten es laut Maas allsonntäglich genauso. Er selbst spricht mit dem Ortspfarrer nur noch „wenn es unbedingt sein muß". Und auch mit dem neuen Kirchenvorstand, der „denen aus Münster ge­nehm war und sich nicht mehr gegen den Verkauf sträubte, möchte ich nichts zu tun haben", sagte Maas und meint es auch so.

Norbert van de Sand, 34 Jahre alt, CDU-Ratsherr in Kalkar, hält es eher mit der diplomatischen Verbindlich­keit eines Lokalpolitikers: „In acht Ta­gen haben wir hier Kirmes", meint er, „und da werde ich Frauen zum Tanz auffordern, die gegen Kernkraft sind" Er selbst hält sich zwar „nicht unbe­dingt für einen Befürworter der Kern­energie, sieht aber heute noch keine Alternative dazu". Angst vor dem Mon­strum, um das es seit Jahren in Bonn und anderswo Streitigkeiten gibt, hat er nicht. Behauptet van de Sand jedenfalls; zögernd zwar und mit der be­schwörenden Zusicherung, das Risiko sei ihm bewußt, er könne aber trotz­dem nachts sehr gut schlafen. Und trotzig fügt er hinzu; „Immerhin gab der Brüter für Kalkar auch ein Start­signal für wirtschaftlichen Auf­schwung. Beim Land Nordrhein-West-falen jedenfalls hat man seit Baube­ginn für Belange unserer Stadt ein of­feneres Ohr. Wohl auch, weil man uns gegenüber ein schlechtes Gewissen hat."

Für ihn ist der Brüter ein Thema, das im Kalkarer Ortsteil Hoennepel meist gemieden wird. Statt sich mit dem Politikum vor der Tür zu beschäf­tigen, regen sich die Leute bei kommu­nalpolitischen Diskussionen lieber mit herzlichem Engagement über die Schließung der Grundschule, den Bau eines Kanals oder die Ausrüstung der Feuerwehr auf. „Niemand will beim Nachbarn anecken und sich die Zunge verbrennen", erklärt van de Sand diese Haltung. „Die Leute denken, warum soll ich mich engagieren und mich mit allen verfeinden." Wenn Demonstratio­nen durch den einst friedlich verträumten Ort ziehen, dann gehen meist nur fünf bis zehn der Hoennepeler mit, meint van de Sand. „Auch wenn weit mehr gegen den Brüter sind. Der Rest bleibt zu Hause, hält sich zurück, weil niemand unbedingt Flagge bekennen will."
                              Wieviele sind dagegen?
Flagge bekennen fällt wenigen leicht in einer dörflichen Gemein­schaft, wie es dieser kleine Ort nahe der holländischen Grenze ist, wo von alters her die Leute erst einmal an Vieh- und Rübenzucht, an die Gesund­heit ihrer Schweine und der Geradli­nigkeit der Gemüsebeete interessiert sind. Die meisten halten es so wie der Tante-Emma-Laden auf der Haupt­straße. Dort „verkauft der Krämer an Polizisten genauso seine Brötchen wie an die Kernkraftleute und deren Geg ner. Und fährt dabei nicht schlecht", amüsiert sich van de Sand. Andere vermieten Zimmer an die von aus­wärts kommenden Facharbeiter, die seit nunmehr acht Jahren eines der umstrittensten Forschungsprojekte der Bundesregierung zusammenzim­mern.

Nur ein Drittel der Hoennepeler - so schätzt van de Sand - sind gegen den Brüter. 90 Prozent - meint dagegen Bauer Maas - hallen entschieden nichts von der Kernenergie. Die Wahl­ergebnisse der vergangenen Jahre könnten eher van de Sand recht geben: Obwohl es seine Partei war, die 1971 fast einstimmig den Standort am Orts­ausgang für den Brüterbau befürwor­tete, bekam sie hierfür nie den erwar­teten Denkzettel.

Auch in den darauffolgenden Jahren erreichte die CDU mit über 70 Prozent der Wählerstimmen in Hoennepel  „über bayerische Verhältnisse" (van de Sand). 1980, bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, kam Bauer Maas als Kandidat der „Grünen" auf 28 Pro­zent der Nachbarstimmen. Für van de Sands eine eindeutige Niederlage von Maas, lediglich der Beweis dafür, daß in einer so streng katholischen Ge­gend wie Kalkar „es einfach gegen die christliche Tradition der älteren Leute hier verstößt, wenn sie die CDU nicht mehr wählen würden. Das hat mit dem Brüterbau nichts zu tun". Für ihn ist es geradezu typisch, daß die Politiker sich für den Bau von Kernkraftwerken häufig konservative Gegenden aussu­chen, weil sie dann nicht auf so viel Wi­derstand stoßen.

                     „Ich mußte allein klagen"
Der 50jährige Maas, Vater von drei Jungen und zwei Mädchen, Großbauer und im Vorstand mehrerer Bezirks­und Kreisbauernvertretungen, lehnt sich seit zehn Jahren mit der Dickköp­figkeit eines Menschen, der seiner gu­ten Sache sicher ist, gegen die Bau­ruine vor seiner Haustür auf. Er hat geklagt. „Ich mußte es alleine tun, weil sich sonst, wenn wir zu mehreren vor Gericht gezogen wären, die Prozeßkosten drastisch erhöht hätten."

Er hat der CDU den Rücken gekehrt, die auch in seiner Familie traditionelle Stammpartei war. Und er hat sich an­gelegt: mit den Offiziellen der Kirche, der Politik und der Polizei. Seine Tele­fongespräche - da ist er ganz sicher -wurden und werden abgehört. „Ein­mal", versuchte Maas diese Behaup­tung zu belegen, „rief mich jemand aus dem Kernkraftwerk an, um mich unter der Hand über ein Vorkommnis zu in­formieren, und während das Telefon­gespräch noch lief, da war der schon entlassen." Besucht ihn jemand, dann tut derjenige gut daran, sein Auto in Maasens Scheune zu verstecken: „Sonst ist das gleich rum."

Seit Jahren hat er Streit wegen sei­nes Melkstalles, der auf der Wiese di­rekt gegenüber dem Reaktoreingang hegt. Als im September 1977 Abertau­sende von „Atomkraft-Nein-Danke-An­hängern" auf die von Polizei herme­tisch abgeriegelte Brüterbaustelle zu­zogen, da war es seine Wiese, auf die man am Schluß einschwenkte. Heute leben in dem ehemaligen Stall junge Leute. „Jugendliche", so beschreibt sie Maas, „die sich einsetzen für Gesund­heit und Leben." Seiner etwas unbe­holfen und pathetisch ausgedrückten Meinung nach sind das „die Märtyrer unserer Zeit". „Die brauchen nicht erst zu einem Wallfahrtsort mit Erbsen in den Schuhen zu pilgern, die bekom­men auch ohne Wallfahrt Blasen an den Füßen." Bewundernd erzählt Maas, wie diese jungen Leute sich we­der von wenig sanften Polizeieinsätzen noch desinteressierten ruppigen Bür­gern entmutigen lassen, um weiter die Stellung vor der Mammutfestung zu halten.

Die Stellung, die da 20 und mehr Jugendliche angesichts von Beton, Werk­schutz, Polizei und Stacheldraht, Was­sergräben und stetig wachsender Atom-Brutstätte aufgebaut haben, wird mit freilaufenden Hühnern, Komposthaufen, einem biologischen Filtersystem für die Abwasserreinigung, ei­nem Windrad und einer Wasserpumpe gehalten. Roh, aus abgelegten Türen gezimmert, steht der Ziegenstall, lockt der Donnerbalken, wackelt der Hüh­nerstall und die Regenwasserdusche. „Anti-Atombrutstätte" seit Anfang der Schulferien Sommercamp von Daheimgebliebenen „bringt nicht so viel“ räumt Michael, 19 Jahre alt, Schüler, ein. „Aber wir wollen zeigen, daß man auch anders kann als mit Computern." So wird denn Marmelade eingemacht, aus selbst gesammelten Holunderbee­ren oder aus Birnen, die freundlich ge­sinnte Bauern ihnen geschenkt haben, wachsen Kräuter am Küchenfenster, fehlt die hauseigene Getreidemüh­le nicht für die körnerliebende Genera­tion.

Und wenn der Besucher sich freut, daß die auf Stroh nächtigenden Cam­per wenigstens auf das Licht der Steckdose nicht verzichten müssen, dann wird er sehr unsanft durch die Bemerkung eines jungen Madchens „das stört mich schon längst. Wir soll­ten versuchen, auch ohne Strom aus­zukommen", daran erinnert, wo er hier eigentlich ist; keine hundert Meter von der Baustelle entfernt, wo demnächst mit Plutonium umgegangen werden soll, vor dessen Gefährlichkeit seine Gegner seit Jahren warnen - einem Stoff, von dem ein Kilogramm das Po­tential besitzen soll, bei Milliarden Menschen Lungenkrebs auszulösen, der für den Bau von Atomwaffen mißbraucht werden kann und zu dessen Sicherung - so befürchtet Bauer Maas - polizeistaatliche Verhältnisse einge­führt werden müssen...............

 Wegen de Umfangs wurde der Artikel etwas gekürzt!

Anmerkung:  Das Layout wurde zur besseren Übersicht und Lesbarkeit nachträglich geändert mit Zwischenüberschriften!

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