Rheinische Post 2. Oktober 1982

Am Tag vor der "Demo"

Von Alois Puyn und Ludger Distelkamp

Kalkar -
Ob es an der Übertragung des Kanzlerwechsels und der spannenden Bundestagsdebatte im Fernsehen oder an dem ungewöhnlich schönen Altweiber­sommertag lag, wer gestern nachmittag durch die Niederung rund um Kalkar fuhr, der konnte kaum erkennen, daß hier rund zwanzig Stunden später eine Großdemon­stration stattfinden sollte; Bauern auf den Feldern, Familien auf dem Weg zum Ein­kauf, um sich für das Wochenende einzu­decken, spielende Kinder, Heimkehrer von der Arbeit. Nur hin und wieder eine „Grüne Minna" und noch seltener ein Wa­gen mit dem Aufkleber „Atomkraft, nein danke".
Ab Vorabend Sperrgebiet in Hönnepel
 An den Einmündungen der Wege, die in Richtung Hönnepel führen, erinner­ten im Straßengraben Absperrungsböcke Ortskundige schon allerdings daran, daß hier schon am Abend das Sperrgebiet sein würde.
Ganz anders dagegen die Szene am Brü­ter: An der Straße, die entlang des Kern­kraftwerkes vorbeiführt, standen neben dem Stacheldraht Beamte der Polizei und des Bundesgrenzschutzes mit ihren Wal-kie-Talkies und hielten Funkkontakt mit ihrer Einsatzstelle. Auch auf dem Gelände des Brüters warteten junge Ordnungshüter hinter den Eingangsschranken und scho­ben ihren Dienst, während ein Hubschrau­ber über die Niederung flog.
Nur einige Kilometer weiter hatte der Koordinationsausschuß der Demonstration in einem al­ten Wohnwagen auf dem Kalkarer Markt­platz, wo heute (2. Oktober) um 10 Uhr die Kundgebung beginnen wird, Quartier be­zogen.
Kernkraftgegner, die vorwiegend aus dem Ruhrgebiet und den Niederlan­den gekommen waren, versammelten sich auf dem Marktplatz und genossen die Herbstsonne.

Zwischen 5000 und 8000 Demonstranten aus Niederlanden erwartet
Aus dem Nachbarland, so schätzte ein Niederländer, werden zwischen 5000 und 8000 Demonstranten nach Kalkar kommen, die nicht nur über Arn-heim, sondern auch über die anderen Grenzstellen kommen werden, um so ein Verkehrschaos zu vermeiden. Es werden übrigens ebenso Fietser aus dem Nachbar­land gen Nicolaistädtchen radeln.

Pressestelle der Polizei in Wisseler Schule
Ruhig ging es gestern nachmittag auch noch in der Pressestelle der Polizei in der Wisseler Schule zu. Nur einige niederlän­dische Journalisten fragten schon nach den Terminen der Pressekonferenzen.

Stadtväter: "Kalkar darf kein zweites Brokdorf werden!"
In einer einstimmig verabschiedeten Re­solution des Kalkarer Stadtrates, betonen die Kommunalpolitiker zur Kundgebung, daß jeder willkommen sei, der seine Mei­nung friedlich dokumentieren wolle. „Mit Nachdruck", so heißt es weiter, „weisen wir darauf hin, daß Gewalt kein Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein darf." Wer der Gewalt das Wort rede, rüt­tele an den Grundfesten unserer freiheitli­chen Demokratie. Abschließend werden die Demonstrationsteilnehmer aufgerufen, mitzuhelfen, daß eventuelle Gewalttätig­keiten im Keim erstickt werden. Kalkar dürfe kein zweites Brokdorf werden, be­schwören die Stadtväter.

Anmerkung:  Das Layout wurde zur besseren Übersicht und Lesbarkeit nachträglich geändert mit Zwischenüberschriften!

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