Rheinische Post (Titelseite) 22. März 1991
 
Heinz Riesenhuber

   Bundesforschungsminister  mit Stromkonzernen einig:
      Aus für Schnellen Brüter -
    Umbau in ein Ölkraftwerk?

                                Von HANS OVERBERG

BONN. Der seit 1986 fertiggestellte Schnelle Brüter in Kalkar wird nicht in Betrieb genom­men. Bundesforschungsminister Riesenhuber (CDU) machte zwar gestern für das Aus des sieben Milliarden Mark teuren Pilotprojekts allein die SPD-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen verantwortlich, sieht aber keine Chance für Regreßforderungen an das Land. Belgien, das wie die Niederlande mit 470 Millionen Mark am Brüter beteiligt ist, will sein Geld zurück.
 Das RWE als Hauptbetreiber erwägt den Umbau des Brüters zu einem Ölkraftwerk.

Heinz Riesenhuber hatte gestern nach einem nächtlichen Gespräch mit Vorstands­mitgliedern von Siemens und den Stromkonzernen RWE, Preußenelektra und Bayernwerk den zuständigen NRW-Wirtschaftsminister Einert (SPD) von dem Beschluß unterrichtet. Riesenhuber und die Gesprächsteil­nehmer warfen der Landesregierung politische und damit sachfremde Moti­ve für die Verweigerung der Betriebs­genehmigung vor. Das Atomkraftwerk laufe seit 1986 im vornuklearen Probe­betrieb einwandfrei.

Dagegen betonte Einert, der gestri­ge Schritt sei längst überfällig gewe­sen. Die Landesregierung halte die Brüter-Technologie aus energiewirt­schaftlichen Gründen, „aber auch we­gen der mit ihr verbundenen Risiken für nicht akzeptabel".

Nach den Worten Riesenhubers ha­ben die hinter der Schnellbrüter-Kernkraftwerksgesellschaft stehen­den Stromkonzerne (68 Prozent RWE), der Brüter-Hersteller Siemens-KWU und das Bundesforschungsministeri­um keine Chance mehr gesehen, von der NRW-Landesregierung die erfor­derliche Betriebsgenehmigung zu er­halten. Auch eine .Anweisung des Bundes an das Land", die zwar verfas­sungsrechtlich möglich sei und das Atomgesetz zulasse, werde kaum Er­folg haben können.

Das RWE habe jedoch zugesagt, gab Riesenhuber bekannt, den Kraft­werksstandort Kalkar zu erhalten und die Umwandlung des Brüters in ein konventionelles Ölkraftwerk für die Spitzenstromerzeugung zu prüfen. Auch die 200 Mitarbeiter würden vom RWE übernommen. Der nukleare Teil des Kraftwerks solle ebenfalls nicht abgerissen werden.

Wie der belgische Staatssekretär für Energie, Deworme, mitteilte, werde Belgien Regreßforderungen für seinen Beitrag an der Entwicklung des Reak­tors anmelden. Die Hälfte der rund sie­ben Milliarden Mark Baukosten sind aus Steuermitteln aufgebracht worden.

Bürgermeister van Dornick fordert 80 Millionen Entschädigung für Kalkar

Die Stadt Kalkar fordert dem Ver­nehmen nach 80 Millionen Mark Ent­schädigung. Bürgermeister van Dornick verwies auf die Ausgleichsrege­lungen, wie sie auch für Wackersdorf nach dem Stopp für die atomare Wiederaufbereitungsanlage getroffen worden seien.
Der Forschungsminister sprach vor der Presse von einer „politisch außer­ordentlich problematischen Entwick­lung". Ein langfristiges Forschungs­projekt, das seit 1966 mehrmals von al­len politischen Parteien befürwortet sowie von der Reaktorsicherheitskom­mission und einer speziellen Enquete-Kommission des Bundestags immer wieder geprüft und als sicherheits­technisch verantwortbar eingestuft worden sei, müsse jetzt aufgegeben werden. Riesenhuber: „Dies darf nie wieder passieren, wenn der Industrie­standort Deutschland nicht ernsthaft Schaden nehmen soll."

FDP und SPD begrüßen Aus - CDU fordern Konsequenzen für NRW
Während die FDP und die SPD in Bonn das Aus übereinstimmend be­grüßten, forderte die Union den Mini­ster zu Konsequenzen in der Zusam­menarbeit mit Nordrhein-Westfalen auf. Die forschungs- und energiepoliti­schen CDU/CSU-Fraktionssprecher Lenzer und Seesing verlangten, die Landesregierung als Hauptverantwortlichen „finanziell in Pflicht zu nehmen".

RP-Grenzland Post 22.3.1991
Chronologie des Brüters

KALKAR. Nur von kurzer Dauer war die Zukunft des einstmals als technologisches Non-Plus-Ultra gefeierten Atommeilers:
24. April 1973: begannen die Bauarbeiten. Geschätzte Ko­sten: 940 Millionen Mark.
 24. September 1977: Mehrere zehntausend Kernkraftgegner protestieren gegen den Bau.
8. Dezember 1978:
 Das Bundesverfassungsgericht bejaht den Bau des Schnellen Brüters.
14. Dezember:
Die SPD/FDP-Koalition setzt den Weiterbau im Bundestag durch. September 1982: Kosten 6,5 Mil­liarden Mark.
3. Dezember l982: Die CDU/ FDP-Bundesregierung be­schließt Fertigstellung und In­betriebnahme.
Mai 1985: NRW-Ministerpräsi­dent Rau äußert Zweifel am Brüter.
Juli 1986: Interatom erklärt den Brüter betriebsbereit.
7. April 1987: NRW-Wirt­schaftsminister Jochimsen ver­weigert Genehmigung für die Einlagerung atomarer Brenn­stoffe.
Januar 1988: Der Antrag auf Ein­lagerung der Brennelemente wird zurückgezogen.
10. November 1988: Der Bundes-Haushaltsausschuß sperrt vor­läufig den Bundesanteil für die Wartekosten
21. März 1991: Bundesfor­schungsminister Riesenhuber verkündet das „Aus".

Anmerkung:  Das Layout wurde zur besseren Übersicht und Lesbarkeit nachträglich geändert mit Zwischenüberschriften!

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